Die Kraft der Riesen – 15 x Big Band im Kölner Jazz-Herbst


Heute vor 50 Jahren, am 7.9.1969, kam es in Köln zu einem denkwürdigen Gipfeltreffen: Unter dem Titel „Battle of the Big Bands“ traten in den Sartory Sälen gleich drei Jazz-Orchester auf, das Thad Jones-Mel Lewis Jazz Orchestra aus den USA, das Orchester Kurt Edelhagen und die Clarke-Boland Big Band, beide aus Köln. Jeder dieser mächtigen Klangkörper zeigte sich von seiner Schokoladenseite, präsentierte selbstbewusst seine musikalisch-technische Kompetenz und verband die Ensembleleistung zum unverwechselbaren Orchesterstil.

Damals schon befand sich der Big-Band-Sound im Wandel. Klassischer Swing und Ballroom-Jazz lagen längst hinter diesen drei Riesen, die sich geschmeidig an zeitgemäßen Trends und Stilen versuchten. Die satten Klangfarben der Blech- und Holzbläser wurden in raffinierte neue Arrangements eingebettet, ohne die brodelnde Energie des Ensembles zu vernachlässigen. Kurt Edelhagen und Gigi Campi, Initiator der Clarke-Boland Big Band, standen in freundschaftlicher Konkurrenz zueinander. „Du lässt die Spontaneität nicht wachsen, du verfeinerst“, hatte Campi schon 1961 Edelhagen kritisiert. „Jazz ist, wenn es explodiert, wenn es sich freimacht.“ Er wettete mit ihm um eine Kiste Whisky, dass er binnen sechs Monaten die „beste Band, die es je gab“ zusammenstellen würde. Ende 1961 war es tatsächlich so weit, die Clarke-Boland Big Band begann ihren Siegeszug, und Edelhagen lieferte respektvoll, aber gewiss nicht neidlos die Flaschen in Campis Eisdiele auf der Hohe Straße.

Von 1961 bis 1972 war die Clarke-Boland Big Band eine Ausnahmeerscheinung im europäischen Jazz. Dass sie jetzt vom Bundesjazzorchester BuJazzO mit einem Tribut-Konzert geehrt wird, ist attraktive Rückschau und zugleich spannende Standortbestimmung für das junge Ensemble. Das BuJazzO, das offizielle Jugendjazzorchester der Bundesrepublik Deutschland, besitzt mehr als 250 Arrangements handgeschriebener Originalnoten der Clarke-Boland-Band, aus denen Leiter Jiggs Wigham seine Arrangements zusammenstellte. Deren zeitlose Eleganz wird um Auftritte des BuJazzO-Vokalensembles erweitert, und wer weiß: Vielleicht gibt es ja sogar eine gesungene Version des Clarke-Boland-Klassikers „Sax No End“.

Die Clarke-Boland-Hommage ist Startschuss für einen furiosen Big-Band-Konzertmarathon. Schon lange gab es nicht mehr so viele herausragende Jazz-Big-Bands in Köln, kaum zuvor war die stilistische Bandbreite der großen Ensembles variantenreicher, vielschichtiger und experimentierfreudiger. Traditionell gehören zu den BuJazzO-Mitgliedern auch viele junge Musikerinnen und Musiker aus Köln, wo sie inzwischen die Szene mitgestalten, unter ihnen Felix Römer, Dominik Mahnig, Fabian Dudek, Roger Kintopf, Felix Hauptmann, David Helm, Theresia Philipp und Anna-Lena Schnabel. Zum aktuellen BuJazzO zählen die verheißungsvolle Sängerin Lina Knörr, der Altsaxofonist Tobias Haug und der Trompeter Pascal Klewer. Klewer wiederum leitet seit fast zwei Jahren seine eigene Big Band, zu der neben Knörr und Haug weitere Protagonisten der ganz jungen Szene zählen. Er komponiert, arrangiert und kuratiert Programme mit renommierten Gästen, aktuell mit dem englischen Keyboarder Kit Downes sowie dem famosen Vibrafonisten Christopher Dell. Die Reife und Klangfinesse, die die Pascal Klewer Big Band auszeichnen, dokumentiert eindrucksvoll die aktuelle CD mit dem schönen Titel „Chasing Memories“.

Seit sechs Jahren bietet das Subway Jazz Orchestra (SJO) mit eigenen Kompositionen und Arrangements allerfeinsten zeitgenössischen Bigband-Jazz „made in Cologne“. Immer wieder wagt es sich stilübergreifend an Ensemble-Projekte, so gab es zwei Orchester-Suiten von Tobias Wember, eine Hommage an Jimi Hendrix sowie eine Zusammenarbeit mit Kasalla. Unvergesslich: eine hinreißende Cover-Version des Radiohead-Stücks „Creep“ mit der Sängerin Tamara Lukasheva. Dank der dreijährigen Ensembleförderung durch das Land kann das SJO nun langfristiger planen. Die Saison im Club Subway eröffnet es mit dem Konzert „Still Screaming!“ als Vorgeschmack auf eine neue CD, es folgen „Monster Suites“ mit Steffen Schorn und Roger Hanschel, eine Hommage auf Miles Davis und die Cool-Jazz-Ära sowie ein Gastspiel des niederländischen Gitarristen Jesse van Ruller.

Immer wieder gibt es bei den Big Bands personelle Überschneidungen, ohne dass dies das Profil des jeweiligen Ensembles verwässert. Auch die Bassistin Hendrika Entzian hat ihre hochkarätig besetzte Großformation Entzian + teilweise aus SOJ-Musikern zusammengestellt, wobei ihr eine unverwechselbare Tonalität glückt, die ein wenig an die US-amerikanische Arrangeurin Maria Schneider erinnert. Basierend auf ihren Quartett-Kompositionen, zaubert Entzian kraftvolle Stimmungsbilder und subtile Klangnuancen, die nun endlich auch auf CD erscheinen. Nicht weniger vielversprechend kündigt sich das brandneue Fuchsthone Orchestra an: Die Kölner Komponistinnen Christina Fuchs und Caroline Thone präsentieren im November erstmals ihr Ensemble, das ebenfalls sensationell gut besetzt ist, u.a. mit Roger Hanschel, Matthew Halpin, Theresia Philipp, Jens Böckamp, Heidi Bayer, Tobias Wember, Filippa Gojo und Laia Genc. Ungewöhnliche Akzente setzen die Violinistin Zuzana Leharova und die Elektronikerin Eva Pöpplein – man darf gespannt sein!

Jens Düppe ist Schlagzeuger des Fuchsthone Orchestra, auch er war einst Mitglied des BuJazzO. Zudem prägt er das Cologne Contemporary Jazz Orchestra (CCJO) mit, das man guten Gewissens als unersetzlichen Big-Band-Klassiker in der Stadt bezeichnen kann. Gegründet 2002, ist das CCJO, das projektbezogen und ohne festen Leiter auftritt, so etwas wie das „Hausorchester“ im Stadtgarten; kaum eine zweite Big Band spielte schon mit so vielen namhaften Künstlern und machte auch international nachhaltig auf sich aufmerksam. Die Pioniere des Orchesters bilden seit nunmehr 17 Jahren erfolgreich die Komponistenlandschaft der freien Kölner Jazzszene ab, ohne dass sie je an Spielfreude, Neugier und Kooperationsbereitschaft einbüßten.

Dies sind ohnehin nahezu unschätzbare Werte, die jedes der aktuellen Großensembles auszeichnen. So auch das Urgestein aller großen Klangkörper, die WDR Big Band, die seit ihren Anfängen von ihrer stilistischen Vielfalt lebt und mit immer neuen Konzepten, herausragenden Arrangeuren und allerfeinsten Musikern begeistert. Vor allem die finanzielle Absicherung durch den öffentlich-rechtlichen Sender trägt viel dazu bei, dass die WDR Big Band souverän ihren Status als Großensemble von Weltformat behauptet; zugleich aber ist sie ein glaubwürdiger Partner der Szene, offen für andere Ensembles und junge Musiker, die punktuell in die eigene Arbeit einbezogen werden oder als Gastsolisten brillieren – aktuell der 21-jährige Hammondorgel-Jungstar Simon Oslender. Damit ist die WDR Big Band nicht nur Leuchtturm, sondern auch Brückenbauer, der einen freundschaftlichen Austausch mit dem BuJazzO pflegt und dessen Mitglieder zudem „übergeifend“ tätig sind, etwa Andy Haderer bei Entzian + oder Paul Heller, der mit der NLJ Bigband sogar selbst eine Großformation leitet.

Es ist phänomenal, was sich da in Köln entwickelt hat: ein spannender, kreativer „Battle of the Big Bands“, bei dem man sich nicht bekämpft, sondern sich respektvoll austauscht und so die Jazz-Landschaft bereichert. Ob straight ahead, modern oder avantgardistisch: Die musikalische „Kraft der Riesen“ ist vielfältig und ein außerordentlich prägnantes Aushängeschild, auch und gerade für Köln.

Ein Beitrag von Horst-Peter Koll

Kölner Big-Band-Termine 2019

7.9., Stadtgarten: Bundesjazzorchester BuJazzO: A Tribute to the Kenny Clarke-Francy-Boland Big Band
10.9., Philharmonie: WDR Big Band: John Clayton-Jeff Hamilton Cologne Reunion
11.9., Subway: Subway Jazz Orchestra: Still Screaming!
15.9., Hinterhofsalon: Pascal Klewer Big Band meets Vol. 4, Kit Downes
22.9., Stadtgarten: Cologne Contemporary Jazz Orchestra: CCJO plays Marko Lackner
26.9., Gloria: WDR Big Band: Pure Sounds - Beauty of the Beast, feat. Billy Test und Simon Oslender (Hammondorgeln)
29.9., Stadtgarten: Paul Heller & NLJ Bigband feat. Joris Roelofs & John Rucco (im Rahmen des multiphonics Cologne Jazz and World Music Festival)
6.10., Philharmonie: WDR Big Band: I Am No Artist. Song-Poesie mit Becca Stevens
9.10, Subway: Subway Jazz Orchestra feat. Steffan Schorn: „Monster Suites“
27.10., Stadtgarten: Cologne Contemporary Jazz Orchestra: CCJO plays Christof Lauer
5.11., Hochschule für Musik und Tanz: Big Band Hendrika Entzian: Entzian +
13.11, Subway: Subway Jazz Orchestra: [Re]Birth Of The Cool
15.11., Stadtgarten: Fuchsthone Orchestra
17.11., LOFT: Pascal Klewer Big Band meets Vol. 5: Christopher Dell
11.12., Subway: Subway Jazz Orchestra feat. Jesse van Ruller