Heimspieler - Hans Lüdemann im Corona Lockdown

 

Die Colone Jazzweek fragt nach, was Kölner Musiker*innen machen, wenn der Konzertbetrieb stillsteht. Für die neue Reihe Heimspieler waren wir als erstes bei Pianist Hans Lüdemann zu Besuch und haben ihm drei Fragen gestellt.

Fotos: Ines Pizarro Correia

 1. Wie sieht dein Tag gerade aus?

Meine Tage sind immer außerst ausgefullt. Ich habe einen sehr umfangreichen Kompositionsauftrag der Oper Koln fur ein Musiktheaterstuck. Bereits 2019 hatte ich mit der Arbeit angefangen und schon wahrend des ersten lockdowns viel daran gearbeitet. Allein dadurch bin ich noch fur Monate weitgehend ausgelastet. Im September/Oktober haben nach langer Pause wieder Konzerte stattgefunden, bei denen ich als Pianist und mit meinen Bands und Ensembles auftreten konnte. Es hat unglaublich gut getan, wieder zu spielen und ich fand es beeindruckend, wie gut es funktioniert hat und mit welchem Aufwand und Einsatz die Veranstalter das geschafft und ermoglicht haben. Auch diese Projekte waren zum Teil mit der Vorbereitung neuer Kompositionen und Arrangements verbunden.

Nun bin ich seit Anfang November wieder zuruck an meinen Kompositionen fur die „Musicomics“ und arbeite daran taglich 4 - 6 Stunden. Aber Planung und Produktionen laufen auch weiter und auch abgesagte oder verschobene Konzerte bedeuten einigen organisatorischen Aufwand. Allen Unklarheiten zum Trotz versucht man doch, auch fur die nachsten Monate und das nachste Jahr wieder etwas auf die Beine zu stellen, sowohl Projekte und Produktionen als auch Konzerte. Die Planung ist aber stark beeintrachtigt durch die nebulosen Perspektiven auf allen Ebenen. Im Sommer ist das neue Album des TRIO IVOIRE erschienen - zum 20jahrigen Jubilaum - trotz und wahrend stark eingeschrankter Arbeit des Labels Intuition. Die eigentlichen Release-Konzerte wurden von Mai 2020 auf April 2021 verschoben. Hoffen wir, dass es dann endlich klappt. Zur Zeit ist die neue Produktion meines deutsch-franzosischen TransEuropeExpress- Ensembles in Arbeit, die im Fruhjahr beim ungarischen Label BMC records erscheinen soll. Die Mischung zieht sich in die Lange - statt, wie ursprunglich geplant, Anfang September im Studio in Budapest zu mischen, geht die Arbeit online hin und her - schwierig wegen der komplexen Musik und Besetzung.

Neben der Musiktheater-Komposition arbeite ich an einem meiner weiteren wichtigen Standbeine - Solo Piano. In den letzten Jahren sind eine Reihe von Produktionen entstanden, die nun ausgewertet werden mussen. Unter dem Arbeitstitel „Klavierwerkstatt“ geht es dabei um sehr unterschiedliche Aufnahmen - ein Solokonzert aus der Oper Koln 2015, Improvisationen, die ich 2017 in der Villa Massimo in Rom aufgenommen habe, die Aufnahmen der „Rhythmic Etudes“, die als Notenband bei Schott erschienen sind und „Beyond the tones“ - Improvisationen und Kompositionen fur Klavier und 24 -Ton - Klavier. Diese sollen editiert, vervollstandigt und fertig produziert werden. In diesem Jahr waren Solo-Auftritte in Moskau und Berlin geplant, die den Umstanden zum Opfer gefallen sind. Man darf hoffen, dass sie irgendwann nachgeholt werden konnen. Im Dezember - Januar sind eine Video-Produktion des Trio Ivoire, eine Studio- Session im Duo mit Reiner Winterschladen und Konzerte im Trio und mit dem Quartett mikroPULS geplant und mit diversen Vorbereitung verbunden. Mal sehen, was davon tatsachlich realisiert werden kann.

Neben der Arbeit muss es naturlich auch Zeit fur Privates geben. In erster Linie fur die Familie - die Kontakte zu Freunden gibt es auch, aber sie sind doch gegenuber „normalen“ Zeiten stark eingeschrankt und seltener mit personlicher Begegnung verbunden. Dass ich in meinem Wohnort Hoffnungsthal von viel Natur umgeben bin, nutze ich zum regelmassigen Joggen, Spazieren, Wandern, Fahrrad fahren - sowohl in der unmittelbaren als auch der weiteren Umgebung zwischen Rhein, Sieg, Konigsforst, Wahner Heide und Bergischem Land. Auch die geistige Nahrung ist wichtig - dabei spielt sowohl Politik eine Rolle, die ich taglich intensive verfolge, als auch Literatur. Neben der musikalischen Arbeit, die ja vor allem auf die eigene Musik fokussiert ist, ist es aber auch ein Bedurfnis, Musik zu studieren und zu horen. Dazu leihe ich mir Partituren aus der Stadtbibliothek Koln aus, spiele vom Blatt zum Kennenlernen aus Klavierauszugen, Partituren oder Klavierliteratur, zur Zeit gerade von Kurtag, Ligeti, Gershwin und - ganz fantastisch - Rameau. Bach gehort sowieso schon immer dazu. Auch CDs oder LPs werden aufgelegt. Gerade hat mir Gina Schwarz ihre neue Doppel-CD geschickt. Toll fand ich auch einige der Live-Streams vom Jazzfest Berlin Anfang November. Zur Vorbereitung meines geplanten Istanbul-Aufenthaltes im Fruhjahr in der Villa Tarabya bin ich auf der Suche nach orientalischer Musik und versuche, mehr davon kennenzulernen.

Da man weniger unterwegs und mehr Zuhause ist als zu normalen Zeiten, wird auch nebenbei rumgewerkelt in Studio, Haus und Garten und etliches aufgeraumt, gepflegt, repariert, entsorgt oder erneuert. Und sowieso gibt es immer einen Berg von Burokram und organisatorischen Pflichten. Wenn er nicht standig weiter wachst, sondern es mir gelingt, hier und da den einen oder anderen Stapel abzutragen, ist das mit Erleichterung verbunden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Was fehlt gerade?

Es ist klar, das es fehlt, Konzerte zu spielen und die damit zusammenhangende Kommunikation mit dem Publikum, die Zusammenarbeit mit anderen Musikern, mit Veranstaltern, Tontechnikern, Agenturen und den vielen anderen, die an Planung und Durchfuhrung von Konzerten beteiligt sind. Damit im Zusammenhang steht auch die Motivation. Es fehlen konkrete Ziele, die der Arbeit am Instrument und dem Proben Sinn geben. Die lassen sich zum Teil ersetzen durch Arbeit im Studio und an Produktionen, durch Proben und Streaming-Konzerte. Das ist aber nicht das Gleiche, nicht „the real thing“. Man mochte nicht einen so großen Teil der Zeit isoliert fur sich allein arbeiten.

Man verabschiedet sich ungern von der Vorstellung, dass Konzerte in der Form, wie wir sie kennen, uber einen langeren Zeitraum nicht moglich sind. Es hat etwas Unheimliches, nicht zu wissen, wann es wieder losgehen wird. Man fuhlt sich im Nebel und ohne Orientierung und bekommt wachsende Zweifel, ob es jemals wieder so werden wird wie vor der Krise. Ein Zustand, der eine potentiell lahmende Wirkung auf Energie und Motivation haben kann. Wie verhalt man sich in dieser Situation? Dafur gibt es verschiedene Moglichkeiten: Zu versuchen, nach vorne zu schauen und sich vorzutasten, die kommende Entwicklung moglichst realistisch einzuschatzen und sein Verhalten danach einzurichten. Eigentlich konnte man auch abwarten und sich so lange zuruckzuziehen, bis die Krise uberstanden ist. Aber dazu musste man erstens der Typ sein und zweitens ist man zu sehr gewohnt, dass es immer weitergehen muss - und auch darauf angewiesen. Es gibt weiter die Moglichkeit, wahrend des Stillstands alternative und neue Methoden zu probieren und zu entwickeln, wie etwa die kreative Arbeit in digitale Raume zu verlegen und die Aktivitaten dort zu verstarken.

Auch der Besuch von Konzerten, von Theater und Kino fehlt. Es gibt tatsachlich sehr gute Angebote von Streaming-Konzerten im Internet und es ist erstaunlich, wie sich dieser Bereich unter dem Druck der Situation entwickelt, auch in Bezug auf die Qualitat von Sound und Bild. Gut, dass auf diesem Wege doch manches stattfinden kann - in manchen Fallen ist es sogar gelungen, eine Art „Festival - Stimmung“ zu erzeugen - zumindest ansatzweise. Sehr gut fand ich die digitale Ausgabe des „Jazzfest Berlin“. Allerdings habe ich auch Verstandnis, wenn andere Festivals diesen Weg nicht gehen wollen. Ein besonderes Beispiel ist das „Jazzdor“-Festival, das zwar komplett abgesagt wurde, aber alle Musikergagen an die eingeladenen Bands trotzdem ausgezahlt hat. Fur die Musiker ist es naturlich schon, die Gage zu bekommen - gleichzeitig aber merkwurdig, nicht spielen zu konnen. Unter Umstanden kann es befriedigender sein, ein Streaming- Konzert ohne Live-Publikum zu spielen. Ich habe damit im Kolner LOFT positive Erfahrung machen konnen. Aber als Musikhorer und Konzertbesucher ist das Live-Streaming auf Dauer ermudend - man mochte lieber in den Klub oder Konzertsaal gehen, als zum Konzerterlebnis wieder Zuhause vor einem Bildschirm zu sitzen - womoglich dem gleichen, an dem man schon den ganzen Tag gearbeitet hat.

Es fehlt an sozialen Kontakten und Nahe. Das Ausgehen, die Treffen mit Freunden und Familie, das gemeinsame Feiern, Ausfluge, Besuche von Restaurants und Cafes, im Schwimmbad, im Museum - all das ist viel zu sehr eingeschrankt. Selbst normale Besuche z.B. der Eltern sind ja nur sehr bedingt moglich - und alle finden unter Vorzeichen statt, die selten große Nahe zulassen.

Ja - und die Freiheit fehlt in vieler Hinsicht. Nicht zuletzt die gewohnte Freiheit, zu reisen, sich frei zu bewegen in - und ausserhalb der eigenen Region und des eigenen Landes.

Sie betrifft auch meine musikalischen Projekte unmittelbar. Es war eine Zitterpartie, dass die franzosischen Musiker meines Oktetts „TransEuropeExpress“ und Gastsangerin Sofia Jernberg im September fur unser neues Projekt anreisen konnten - inklusive Corona-Tests. Umso schoner war es, als es dann klappte - jetzt im November ware das schon nicht mehr denkbar. Mit dem Trio Ivoire hatten wir diesen Monat auf dem Jazzfestival in Rabat/Marokko auftreten und dort mit marokkanischen Musikern zusammenarbeiten sollen. Dies war eine Reise, auf die ich mich seit Langem gefreut hatte und auch dieses Festival wurde abgesagt. Insgesamt leiden internationale Kontakte und Aktivitaten besonders durch die Krise und dort konnte es am Langsten dauern, bis wieder eine Art „Normalisierung“ eintritt.

Vor allem fehlt aber eines: eine klare Perspektive, wie es weitergehen kann und wird.

Es ware eine große Erleichterung, wenn eine solche sich wieder abzeichnen und erkennbar werden wurde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

3. Was kann so bleiben?

Die Corona-Krise wirkt in vieler Hinsicht wie ein Katalysator, ein Brandbeschleuniger, der jeden von uns auf die Probe stellt. Er ist ein Harte- uns Stresstest fur unsere Personlichkeit und wirft Licht sowohl auf unsere eigene Situation in Privatleben und Beruf, als auch auf unsere Gesellschaft und ihr Funktionieren. Sie stellt alles in Frage - auch unsere Beziehungen und viele Gewissheiten, mit denen wie noch vor Kurzem ganz selbstverstandlich und alltaglich gelebt haben. Schwachen und Starken werden dadurch offenbart und lassen sich nur schwer leugnen oder ignorieren.

Es ist auch ein Moment um innezuhalten und zu reflektieren - uber den eigenen Lebensentwurf, uber dessen Sinnhaftigkeit oder Unsinn, uber das, was in einer Extremsituation wirklich grundlegend wichtig ist. Ist es wirklich so schlimm, eine zeitlang auf Konzerte zu verzichten? Auch wenn man die Musik und seinen Beruf sehr liebt und fur wichtig erachtet - ist in dieser Situation nicht zeitweiser Verzicht trotzdem die bessere Losung? Fur mich personlich war es ein interessantes Experiment, fur einige Monate in diesem Jahr nicht taglich Klavier zu spielen - nach Jahrzehnten, in denen das eine Selbstverstandlichkeit und Hauptbestandteil meines Tagesablaufs war. Eine erstaunliche Erfahrung - es ging! Ich kann trotzdem noch Klavier spielen - und habe womoglich durch diese Zeit mehr gelernt, als wenn ich diese Unterbrechung nicht gehabt hatte. Diese Art von Innehalten und Hinterfragen des eigenen Tuns ist gut und konnte man auch dann beibehalten, wenn sie nicht durch den außeren Druck der Krise aufgezwungen wird.

Innehalten heisst auch, ein standiges „Weiter so“, einen blinden Aktionismus anzuhalten. Es bedeutet, sich umzuschauen nach rechts und links, zuruckzuschauen. Es ist auch wichtig aufzuraumen, altes Gerumpel loszuwerden, Ballast abzuwerfen, Vergangenes zu betrachten und zu verarbeiten. Es ist eine der Voraussetzungen dafur, weitergehen zu konnen und kann helfen, nicht in alte Muster zuruckzufallen. Die Wahrnehmung der Umgebung, der Anderen, des selbst und des eigenen Tuns kann in der Krise gescharft werden.

Die Frage: „Was kann so bleiben?“ stellt sich im Moment weniger als die Frage: „Was wird bleiben?“ Man wunschte sich, dass es weiterhin eine reiche Kultur- und Musikszene geben wird, in der es moglich bleibt, auch als Musiker der freien Szene professionell zu arbeiten und davon leben zu konnen. Aber kann und wird das nach der Krise so bleiben?

Wie wird sich unsere Arbeit, unsere Realitat verandern? 

Was wird mit Reise-Freiheit, Tourneen - besonders internationalen?

Das sind Fragen, deren Antworten nicht absehbar sind.

Optimistisch betrachtet konnte man hoffen, das der lange Verzicht auf kulturelle Veranstaltungen die Wertschatzung dafur erhoht und die Nachfrage und ihr Stellenwert nach der Krise umso hoher werden. Pessimistisch kann man erwarten, das viele Kunstler und andere in diesen Bereichen tatige diese Krise nicht uberstehen, das viele einzelne Existenzen, Bands, Ensembles und auch Veranstalter und Clubs dadurch aufgeben mussen, das aufgrund schrumpfender Kassen auch im Kulturbereich die Mittel knapper werden. Das konnte auch bedeuten, dass die Arbeitsmoglichkeiten in unserem Bereich in der Folge eher schlechter werden. Realistisch beobachten kann man bereits Verlagerung vieler Aktivitaten in den Online - Bereich und man kann annehmen, dass davon einiges bleiben wird. Aber nichts Genaues weiss man nicht. Das ist einerseits beunruhigend, andererseits sehr spannend und konnte bedeuten, das wir dabei sind, eine Zeit großen Umbruchs, tiefgreifender und dauerhafter Veranderung zu erleben.

Eine Sache hat sich in der Krise bewahrt und gezeigt, wie wichtig sie ist: die Improvisation. Als Jazzmusiker sind wir Meister der Improvisation und konnen diese sowohl musikalisch als auch in unserer Lebens-Praxis einsetzen und nutzen. Wenn es uns nicht gelingt, in dieser Krisen-Situation zu improvisieren und und uns auf die ungewohnte Zeit einzustellen, wem sonst? Wir sollten uns besonders aufgefordert dazu fuhlen, kreative Losungen in der Krise zu finden. Eins ist klar: die Improvisation kann, muss und wird bleiben!!!